PR80: »When reality is crying out for a white knight to enter the fray and save the day.«
Heute am 8. Juni 2016 wird der fiktionale Namensgeber der PERRY RHODAN-Serie 80 Jahre alt. Perry T. Rhodan wurde am 8. Juni 1936 geboren. Vor einigen Wochen fragte Chefredakteur Klaus N. Frick, ob zeichnerseits jemand eine Idee habe, sich an diesem runden Geburtstag des Helden zu beteiligen.
Das hat mich veranlasst, eine Idee zu verwirklichen, die ich schon lange hege. Wie wären die Ereignisse um Perry Rhodans Mondlandung und die Gründung des Mini-Staats Dritte Macht von den Medien damals aufgegriffen worden? Wäre Perry TIME-Magazines Man of the Year 1971 geworden? Was hätte DER SPIEGEL getitelt?
Jetzt soll er – wieder einmal!? – seine Titelstory in TIME bekommen. Aus aktuellem Anlass – und nicht unbedingt wegen des runden Geburtstags. Meine Illustration zu Perrys 80. hat einen Twist. Ich wollte ein naturalistisches Perry-Porträt, wie wir es noch nicht kennen – nämlich als real gealterten 80-Jährigen!
Dahinter steht eine What-if-Idee: Was wäre, wenn Perry einfach wirklich ›nur‹ der Neil Armstrong des Perryversums wäre. Als erster Mensch auf dem Mond gelandet und wie geplant zurück gekehrt wäre. Ohne Arkoniden-Begegnung; denn eine ÆTRON mit Deflektorschildern hätte sich von primitiven Weltraumexpeditionen einfach nicht zu einem Abschuss herab gelassen.
Aber weil Ex-Astronaut Perry Rhodan Charisma und politische Ambitionen hat, wäre er als langjähriger parteiunabhängiger Senator von Connecticut eine bedeutende Figur der US-Politik geworden. Jetzt zum 80. krönt er seine politische Laufbahn, indem er als unabhängiger Kandidat für die US-Präsidentschaft 2016 antritt, um wen zu verhindern …?
Herzlichen Dank an KNF und die PERRY RHODAN-Redaktion, die meine Idee so positiv aufgenommen haben.
Ein besonderer Dank geht an die unglaublich akribische Übersetzungsleistung von Leslie Dunton-Downer [1], die sich die Mühe gemacht hat, sechs von mir natürlich irgendwie haarscharf daneben getextete englische Vorschläge in ein realistisches TIME-titelwürdiges Format zu bringen!
Leslie hat mir darüberhinaus noch etwas mitgegeben, das ich hier gerne zitieren möchte:
»I wish Rhodan were actually entering the presidential race! I guess this is the magic of sci-fi fictions and comic books etc.: the fantasies they fulfill are all the more electrifying when reality is crying out for a white knight to enter the fray and save the day.«
Das wunderbare Kongressthema in der Illustration von abcassirer.de!
Da ich inzwischen ein wenig abgekühlt bin, hier noch ein Nachtrag zu meinem »Sauna-Lighning Talk« beim 5. Weltkongress der Hedonistischen Internationale[1] vor einigen Wochen irgendwo in einem post-sozialistischen Erholungsresort zwischen Hamburg und Berlin.
Ich war einfach spät dran. Meine einzige legitime Möglichkeit an der Veranstaltung noch teilnehmen zu können, war, einen Vortrag einzureichen. Mein Lieblingsthema [2] über das Versagen der Science Fiction riss es dann:
»Science Fiction als literarisches und insbesondere multimediales Genre der Populärkultur in TV, Kino und Computerspielen hat mit der Jahrtausendwende sein gesellschaftspolitisches Momentum verloren. Als Genre bedient die Science-Fiction klar umrissene kommerziell Stereotypen und Topoi, die es als Genre kenntlich machen. Gesellschaftliche Großentwürfe oder negative Dystopien können sich kein Gehör mehr verschaffen. Es ist auffällig, dass literarische Science-Fiction mehr und mehr genre-untypisch als zeitgenössische Belletristik vermarket wird. Was als Ausweis von Akzeptanz im Mainstream verstanden werden könnte, ist aber in meinen Augen eine Marginalisierung. Die SF ist nicht mehr so brisant und gefährlich, dass sie wie im gesamten 20. Jahrhundert länger in den Genre-Grenzen der Popkultur domestiziert werden muss. Ihre Funktion als ‘Trainingsprogramm’ zur Anpassung der Massen an den gesellschaftlichen Wandel hat sie praktisch eingestellt. In der stark beschleunigten digitalen Technosphäre ist die literarische SF zur bloßen ‘Gegenwartsliteratur’ geworden. Viele Zukunftsszenarien rinnen ambitionierten Autoren während des Schreibprozesses unter der Tastatur hinweg. Denn was sind einige Tausend Autoren fiktionaler Narrative gegen die Übermacht der Millionen Autoren von Code, der in Computerprogrammen die Welt in Echtzeit verändert. Das Cyberpunk-Genre hat diese technologische Revolution metaphorisch wie pop-ästhetisch beschleunigt, und dabei die Science-Fiction als Sonde in mögliche Zukünfte ausgelöscht. Was heißt dies für unsere netzpolitischen Debatten? Veraltete Sprachbilder wie ‘Big Brother’ und ‘1984’ zeigen wie unzureichend unsere aktuellen Debatten durch vorausschauende Begriffsprägungen der Science-Fiction unterfüttert sind. Brauchen wir – in den Worten von Günter Hack [3] – eine ‘neue’ Science Fiction? Und wie könnte diese aussehen? Wer sie schreiben?«
Die Regeln der Sauna-Talks haben es mir schwer gemacht, das ambitionierte Abstract umzusetzen:
»Neben den bisherigen Vortrags- und Workshopformaten soll es dieses Jahr mit den Lightning-Sauna-Talks eine Weltpremiere geben: Konzept ist 90 Grad, 10 Minuten, 1 Aufguss, 1 Vortrag. Auch hierfür werden noch hitzeresistente Referent:innen mit spannenden, erheiternden und ernsten Kurzvorträgen gesucht – auch spontan vor Ort.«
Ich war nicht hitzeresistent, sondern musste nach fünf Minuten schon einmal für eine Abkühlung im See unterbrechen. Die Teilnehmer sind mit und haben mich der zweiten Halbzeit wunderbar unterstützt.
Dieser Eröffnungsvortrag zur 1. Spackeriade [1]der “datenschutzkritischen Spackeria” [2] an Bord der c-base im letzten Herbst ist mir beim routinemäßigen Kontroll-Googlen wieder ins Gedächtnis gekommen, und ich möchte ihn hier mit euch teilen. Es gibt keinen besonderen aktuellen Anlass, wenn man mal die Referenz an die edition suhrkamp in den ‘Slides’ und die aktuelle Insolvenzschutzsituation des Suhrkamp-Verlags außer Acht läßt.
Die ‘Slides’ sind auf Englisch, weil ich diesen Vortrag ursprünglich als Eingangsstatement beim Panel Post Privacy (part 1) beim von Tatiana Bazzichelli kuratierten reSource 001:Trial Crack[3] mit @tante (Jürgen Geuter) und @mspro (Michael Seeman) von reSource transmedial culture berlin genutzt habe. Hier noch mein Einführungstext zum #Spack1-Vortrag:
Es ist interessant, wie eine selber aus dem gesellschaftlichen Off kommende Untergrundbewegung wie der Chaos Computer Club mit zunehmend gesamtgesellschaftlicher Akzeptanz und Etabliertheit Flanken gegenüber den neuen Fragestellungen von Post-Privacy, Data Love und dem “radikalen Recht des Anderen” (@mspro) aufreissen läßt, deren Legitimität nicht wenigstens einmal als intellektuell inspirierend verstanden werden, sondern in Bausch und Bogen als Angriff und Spaltung der “Netzgemeinde” verstanden werden. Der Tod von Apple-Gründer Steve Jobs im letzten Jahr hat die hippiesken Wurzeln der “kalifornischen Revolution” noch einmal in Erinnerung gerufen, wie sie durch Rainer Langhans wie auch der CCC-Mitbegründer Wau Holland in ihrer speziell bundesrepublikanischen Tradition der weltweiten Alternativbewegungen verkörpert wurde – der erste als Alt-68er, der jüngere Wau Holland als Protagonist der ernüchterten postradikalen 78er-Generation nach dem “deutschen Herbst”. Geradezu postideologisch visionär war Waus Verständnis vom Computer als einem möglichen individuellen Emanzipationsinstrument; galt dieser doch im links-alternativen Mainstream-Milieu zu den Gründungszeiten des CCC im Jahre 1981 noch als Repressionsinstrument von Big Business, Big Government und Big Brother. Es ist somit eine historische Ironie, dass sich die Geschichte einer Ablehnung zu wiederholen beginnt. War das damalige Feindbild des linksalternativen Gefühligkeitshumanismus der Computer an sich, so ist es heute das sich langsam herausbildende und ins Nachmenschliche zu wachsen drohende Potential der universellen Vernetzung der Datenreisenden.
"Wie viel Nazi steckt in Dir?" Crowdfinde es heraus mit Iron Sky, der "Dark Science Fiction Comedy" von Timo Vuorensola, Photo courtesy Berlinale 2012
Die finnisch-deutsch-australische “Dark Science Fiction Comedy” Iron Sky ist das Posterchild der noch jungen Crowdsourcing-Branche. Insbesondere in den nerd- und geek-affinen Kreisen wurde die Persiflage auf bestehende Verschwörungsszenarien um ein zur dunklen, ewig der Erde abgewandten Seite des Mondes geflohenes letztes Aufgebot der Nazis mit leicht gruselig-verbotenem Enthusiasmus aufgenommen.
Welche Faszination üben die Nazis und ihr kulturelles Erbe überhaupt auf die Science-Fiction-affinen Netz-, Nerd- und Geekkulturen aus? Anders als andere totalitäre Herrschaftssysteme ist die NS-Ideologie mit ihrem systematisch in die Tat gesetzten Holocaust gegen die europäischen Juden und anderer als “lebensunwert” betrachteter Gruppen auf der Achse des Bösen ein singuläres Phänomen geblieben. Aber damit ein überzeitlicher Referenzpunkt für zivilisatorische Abgründe schlechthin.
Schon der ersten Generation der damals noch ganz jungen, meist aus New Yorker jüdischen Verhältnissen stammenden Superhelden-Comicschöpfer hatte sich aufgrund der Erfahrungen der in die USA geflohenen europäischen Verwandtschaft in den 30er Jahren das NS-Regime als das logische Raison d’être für ihre Heldengeschichten aufgedrängt. Marvels frühe “Golden Age”-Superhelden kämpften damit propagandistisch vor allem an der Heimatfront, um den isolationistisch geprägten und auch nicht gerade von antisemitischen Ressentiments freien WASP-Mainstream für einen Kriegseintritt der USA gegen Nazi-Deutschland zu gewinnen.
Nach dem Sieg über die Nazis, der mit Hilfe der von vielen europäischen Emigranten bereicherten Hollywood- und US-Kulturindustrie getragen wurde (z. B. war Casablanca ein zeithistorisch topaktueller Film des Jahres 1942, in dem der Sieg der Alliierten überhaupt noch nicht entschieden war!) galt die ideologisch-propagandistische Unterstützung – auch unter dem massiven Druck des McCarthy-Ausschusses gegen “unamerikanische Umtriebe” – zuerst einmal der Abwehr der kommunistischen Bedrohung im Kalten Krieg.
Doch mit der globalen “Kulturrevolution” des Jahres 1968 kam mit New Hollywood eine ganz neue Generation Filmautoren zum Zuge, die die historische und ästhetische Faszination der Nazi-Bedrohung mit den als faschistoid verstandenen Repressalien des US-Establishment gegenüber den Hippie- und Gegenbewegungen zu instrumentalisieren wusste.
Welchen Einfluss zum Beispiel Leni Reifenstahls Propagandafilme für die pop-kulturelle Großerzählung unserer Generation – Star Wars – einnimmt, zeigt die triumphalistische Siegesfeier der Rebellen-Allianz zu Ende von Episode IV: A New Hope, die wesentliche Inszenierungsmerkmale aus der Riefenstahlschen Reichsparteitags-Trilogie zitiert. Und hinter dem ganzen Star Wars-Universum lauert die Figur des “Dunklen Vaters”, der Samurai-Rüstung mit Totenkopf-SS-Gestaltung Achsenmächte-gerecht in sich vereinigt.
Was auf der Bildebene so prächtig funktionierte, löste George Lucas in der Star Wars-Prequel-Trilogie, die dem “Downfall” des jungen Anakin gewidmet war, dramaturgisch nicht ein. Und dennoch: der preisgekrönte VW-Spot zeigt: Wir würden alle gerne ein wenig auf der dunklen Seite der Macht wandeln – gemeinsam mit unserem “inneren Nazi”, der ein ziemlicher Kindskopf ist: “Kraft durch Freude!”
Die Faszination der Nazis liegt in ihrer anscheinend organisatorischen Überlegenheit, ihrem radikal-modernistischen revolutionärem Furor, ihrer Attitüde des Anti-Establishments. Sie verbinden, wie der Begriff “Nationalsozialismus” selbst, linke wie rechte Auflehnungsmuster. Sie sind natürlich der Feind, aber auch die Projektionsfläche der eigenen bitter vermisster Stärke auf Seiten der Opfer.
Spätestens hier steht die immer währende Option zur Verführung zur “dunklen Seite der Macht” als moralischer Topos des Nerd- und Geek-Universums auf der Tagesordnung. Er kommt auch in Googles “Don’t be evil”-Statement zum Ausdruck.
POSTED BY Gregor Sedlag AT May 18th 2012 0 Comments
"Captcha!" Träumen SEO-Manager von Artificial Eyeballs? Generation-Nexus-6-Replikant Roy Batty macht der Aufmerksamkeitsökonomie schöne Augen (Quelle: Blade Runner)
Letzte Woche habe ich anläßlich, aber nicht unbedingt ursächlich des Inkrafttretens der neuen diensteübergreifenden Datenschutzrichtlinie meinen Google+ Account gelöscht. Ich habe darüber hier [1] und hier [2] zwei Posts verfasst. In den darauf folgenden Gesprächen sind mir aber noch ein paar Gedanken durch den Kopf geschossen, die ich hier einmal mit dem eigentlich nicht zwingend damit verbundenen 30. Todestags Philip K. Dicks [3] und des anstehenden 30. Jubiläums der bedeutendsten filmischen Adaption eines seiner Werke, nämlich Blade Runner (1982) [4] von Ridley Scott nach Dicks Erzählung Do Androids Dream of Electric Sheep?[5] montiert habe.
Während des ‘Löschens’ – ich gehe hier eher von einer Form des ‘Auskommentierens’ aus – meines Google+ Accounts hat das System noch einmal ausdrücklich erklärt, dass alle meine Posts, Shares Beiträge Dritter sowie alle akkumulierten +1 aus dem System entfernt werden. Diese Konsequenz fand ich interessant. Ehrlich gesagt, hatte ich beim ‘Löschen’ meines Accounts mir nur vorgestellt, dass die von mir gebildeten Kreise entfallen, meine Präsenz in den Kreisen von anderen entfällt, sowie alle nicht-öffentlichen Beiträge oder Shares. Da ich Google+ überwiegend als öffentliche Plattform genutzt hatte, war ich so naiv, zu glauben, dass meine bisherigen Beiträge als Teil einer generell öffentlich zugänglichen Google+ Almende auch erhalten bleiben mögen.
In meinem blinden Fanatismus, Mountain View es jetzt aber mal richtig zu geben, wollte ich den Gedanken, den Google+ Account einfach stehen zu lassen gar nicht an mich heranlassen. So halte ich es mit einem comdirect-Konto, über das ich in 13 Jahren keinerlei Umsätze getätigt habe, und von dem mir regelmäßig per Post der Saldo € o,00 mitteilt wird. Im Sinne einer erweiterten Spackeria-Perspektive [6] habe ich mich sogar eines “Datenverbrechens” schuldig gemacht, wie mspro in seinem zur Open Mind 2010 gehaltenen Vortrag Das radikale Recht des Anderen[7] schreibt:
“Nein, hier wird für den Anderen entschieden und zwar ohne Kenntnis seines Interesses, seiner Filter und seiner Kompetenz.”
OK, ich habe mspros radikale Queryology, die das universale Quellenverständnis eines Historikers aus der methodologischen Forschung in die Gegenwart der persönlichen Alltagskommunikation überführt und radikal aktualisiert, bisher immer mehr als theoretisch mögliches Ideologiekonstrukt von erheblicher Abstraktionshöhe aufgefasst; diesmal aber habe ich bewusst wahrgenommen, dass mspros Proklamation dieses “radikalen Recht des Anderen” aktuelle Gültigkeit besitzt.
Mit der Löschung meines Google+ Accounts habe ich Dritten – und natürlich auch dem Systembetreiber Google als meinem direkten “Vertragspartner” – im Rahmen der Aufmerksamkeitsökonomie einen zwar kleinen, aber doch substanziellen Wertverlust beigefügt. Menschen posten mehr oder weniger interessante Dinge, die von ihnen und ihren beteiligten Verkehrskreisen als relevant (oder nur lustig) angesehen werden. Mit der sorgfältigen Setzung eines Links, eines erklärenden Textes dazu, der Kommentierung eines schon bestehenden anderen Beitrags und dessen etwaigen +1 Auszeichnung wird Arbeit im sozialen Netzwerk geleistet. Diese Arbeit wird in gegenseitig anwachsender Vernetzung, Weiterleitung und Auflistung der +1 Aktionen akkumuliert und stellt ein – mit gewissen Aufwand auch in konventionellen ökonometrischen Kategorien zu fassendes – ‘Vermögen’ dar.
In meinem Fall – und ich war am 29. Februar 2012 vielleicht gar kein Einzelfall – wurden meine gesamten Shares und alle getätigten +1 Belohnungen den anderen Google+ Teilnehmern wieder entzogen. Dieses Vermögen wurde vernichtet. Das tut mir leid! Wenn ich die Verbindung zur ‘realen Welt’ ziehe, finde ich den aufscheinenden blinden Fleck in der sich manifestierenden “Eyeball Economy” bemerkenswert:
Stellt euch vor, mit der Löschung meines Sparkassen-Girokontos würde ich rückwirkend auf Jahre alle getätigten Überweisungen widerrufen und den Begünstigten damit entziehen – ohne dass diese Beträge bei mir oder sonst wem wieder auftauchen würden. Deflation galore!
Epilog:
Philip K. Dick starb vor 30 Jahren am 2. März 1982, Ridley Scotts Adaption von Dicks Erzählung kam als Blade Runner am 25. Juni 1982 in die US-Kinos (Deutschland-Start war im Oktober 1982). In einer der eindrucksvollsten Szenen der Filmgeschichte (“Perhaps the most moving death soliloquy in cinematic history”)[8] sagt Rutger Hauer als charismatischer Anführer Roy der vergeblichen Replikanten-Aufbegehrens, der im Sterben das (Weiter-)Leben seines Widersachers Deckard ermöglicht – und damit den Claim des Replikanten-Herstellers Tyrell Corp. “Menschlicher als der Mensch” noch überbietet:
„Ich habe Dinge gesehen, die ihr Menschen niemals glauben würdet. Gigantische Schiffe, die brannten, draußen vor der Schulter des Orion. Und ich habe C-Beams gesehen, glitzernd im Dunkeln, nahe dem Tannhäuser Tor. All diese Momente werden verloren sein in der Zeit, so wie Tränen im Regen. [Pause] Zeit zu sterben.“
“I’ve seen things you people wouldn’t believe. Attack ships on fire off the shoulder of Orion. I watched C-beams glitter in the dark near the Tannhauser Gate. All those moments will be lost in time like tears in rain. [Pause] Time to die.”
Die sozialen Netzwerkgiganten: Halb ziehen sie uns, halb steigen wir zu ihnen auf. (Quelle: Mœbius aka Jean Giraud † 11. März 2012 via "quenched consciousness")
Gestern hatte ich mich spontan auf Grund der veränderten einheitlichen Datenschutzrichtlinie Googles hinreissen lassen, meinen Google+ Account [1] zu löschen. Mir gefiel die damit heraufziehende Problematik ganz und nicht, dass diese Dienste übergreifende Integration zu viel Wissen über mich über sehr unterschiedliche Nutzungsanlässe hinweg zusammenbringt und möglicherweise von Google gegen meine Interessen verknüpft wird.
Spätestens seit sich Googles Geschäftsmodells als das eines “Reclamebureaus” heraus kristallisiert hat, habe ich mich der weiteren Dienste eher selten und in der Regel anonym bedient (Maps, Docs etc.). Die dieser Tage oft angesprochene und zur Löschung empfohlene individuelle Web-History hatte ich nie aktiviert, so dass alle möglichen Einträge nur gerätebezogen und damit weniger valide auf mich rückbezogen werden können </naiv>. Googles Ökosystem zentriert sich um die für uns Nutzer unangenehme Frage, wie Mountain View seinen werbetreibenden Kunden diese à point zuliefern kann. Dabei haben sich so interessante Spezialdienste wie Real-time-bidding[2] etabliert, die für mich nach dermaßen abgefahrener Science Fiction klingen, wie es sich nicht einmal William Gibson vorzustellen vermocht hatte. In dieser allgemeinen “If You’re Not Paying for It; You’re the Product”-Geschäftsmodellwelt tut sich eine immer weiter klaffende Schere zwischen unseren Nutzeransprüchen und der notwendigen Refinanzierungsstrategie der Anbieter auf, so dass ich einmal fragen möchte: Warum will Google (Twitter, Facebook etc.) mich denn nicht als (zahlenden) Kunden?
Der gestrige “Downgrade” meines Google-Accounts hat mich nachdenklich werden lassen ob des “digitalen Phantomschmerzes”, den ich mir jetzt mit dem endgültigen Verlust meiner akkumulierten Google+ Einträge aus immerhin einem halben Jahr eingehandelt habe. Google+ war für mich nur ein lauwarmer sozialer Zweitspielplatz, der mich zunehmend belastet hatte, aber wie abhängig bin ich dann vom wirklich intensiv genutzten Twitter? Es ist immer nur halb im Scherz gesprochen, wenn ich beim Evangelisieren sage: “Twitter hat mein Leben geändert.”
Gestern wollte ich mit Google Schluss machen (es hat nur zu Google+ gereicht – aus Gründen) – und trotzdem hatte ich den Anflug einer (natürlich auch narzisstisch geprägten) Depression wie nach einer echten Trennung. Juristen kennen in ihrer formalen Kategorisierung die besondere Problematik von Dauerschuldverhältnissen wie Miete, Ehe, Arbeit (für die es zum Teil spezialisierte Gerichtsstände gibt), Versorgern wie Kabel-TV-Anbietern, Gas-, Wasser, Stromlieferanten, Telefon- und Internet-Providern, Banken und Versicherungen oder von Kindheit oder Jugend an organisierten Partei- oder Religionszugehörigkeiten, aber inzwischen gehört auch die Integration in ein sozialen Netzwerk wie Facebook, Twitter oder Google+ in diese Kategorie. Es hat damit eine existenzielle “Stickiness” erreicht, die ich für mich persönlich erst gar nicht für möglich gehalten hätte.
Das heißt, diese sozialen Netzwerke sind mir sehr wichtig, wichtiger als viel andere Dinge, für die ich regelmäßig Geld zahle, und wahrscheinlich geht es vielen so. Warum also die Verhältnisse nicht vom Kopf auf die Füße stellen und Kunde werden – und nicht deren Produkt bleiben? Dafür müssen die marktbeherrschenden Gratisdienste ihre unentgeltlichen Leistungen einschränken (oder vielleicht sogar von Staatswegen dazu gezwungen werden) und attraktive Kunden-Upgrades anbieten, die mich von der ganzen persönlichen Entäußerung gegenüber Dritten frei stellen und mir für faires Geld die von mir wirklich gewünschten Dienstleistungen wie Suche, Routen, Netzwerkkommunikation liefern.
Eine Kontigentierung von Leistungen könnte darüberhinaus das angemessenes Preisbewusstsein auf der Nutzer-/Kundenseite für die gebotenen Dienste wiedererwecken. Denn jetzt sind die Carbon-Footprints einer jeden Suchanfrage, einer jeden abgeschickten E-Mail oder einesjeden Facebook-Likes nur virtuelle Erinnerungsposten in den Schlechtes-Gewissens-Bilanzen der Öko-Lobbys. Die vermeintliche Gratisnetzkultur, die uns Nutzer im Moment auf unheimliche Weise hinterrücks in Rechnung gestellt wird, operiert damit doch zu weiten Teilen nach Dumping-Prinzipien, die in der “Realwirtschaft” schon zum Teil seit über einhundert Jahren als gegen die guten Sitten, gegen den lauteren Wettbewerb und gegen den Verbraucherschutz verstoßend geächtet und sanktioniert werden.
Darüberhinaus erzielen die sozialen Netze eine täglich routiniertere Loyalitätspraxis, die die mich umgebenden staatlichen Instanzen, die (Stichwort: E-Government) als Verwaltungsapparate auch zügig zu IT-Infrastrukturdiensten mutieren werden, gar nicht mehr aufzubringen vermögen. Die Herausforderung der konventionellen nationalstaatlichen Bindungskräfte durch die Macht der sozialen Netze ist gar nicht deren aktuelle Organisationsmacht für zivilgesellschaftliches Aufbegehren wie im Arabischen Frühling, sondern ihr Potential, neue transnationale Loyalitätsgemeinschaften von politischer Wucht zu etablieren, die mich historisch an die Rolle der katholischen Kirche (Stichwort: Kulturkampf) bzw. später der internationalen Arbeiterbewegung und – tagesaktueller – an die den multinationalen Konzernen zugesprochene Machtfülle erinnern.
Der Film 8th Wonderland[3] hat dieses Unbehagen ebenso aufgezeigt wie die jüngst wohl von Facebook selbst (meiner völlig ungestützten Vermutung nach) unterbundene Aktion von Tobias Leingruber in Kooperation mit Supermarkt Berlin, Facebook ID-Cards [4] auszugeben. Das soziale Netzwerk möchte sich lieber unterm Radarschirm der politischen Aufmerksamkeit bewegen.
Hier der Trailer, den ich für ganz schön schmissig halte und nach den ganzen Wikileaks- und Anonymous-Kämpfen für mich fast schon authentisch wirkt:
The Long Good Bye eines utopischen Versprechens von universeller Güte. Illustration von Deth P. Sun (dethpsun.com)
Ich nehme die von Google jetzt proklamierte Vereinheitlichung der Datenzugriffs einmal als Gelegenheit war, mein Google-Konto aufzulösen und damit mich auch aus diesem sozialen Netzwerk zu verabschieden.
Redundancy is not a crime
Google+ hat für mich in Verbindung mit Twitter und Facebook keinen feststellbaren Mehrwert entfaltet. Praktisch niemand, den ich als sozialen Netzwerkpartner schätze, wird dadurch meiner Aufmerksamkeit entgehen. Aber alles doppelt und dreifach durch zu scrollen ist ja Zeitverschwendung. Dafür ist das Internet nicht gemacht.
Don’t be evil
Generell zu Googles bekannter Aussage “nichts Böses im Schilde zu führen”: Meine Lebenserfahrung lehrt mir, dass jemand. der eine solche Aussage schon als Disclaimer vor sich her trägt, natürlich und vor allem nur Ungutes im Sinn hat. Da ist mir eine Arschlochfirma wie Facebook, die wenig tut, um ihre eigennützigen bis ethisch fragwürdigen Aktivitäten zu kaschieren, im Endeffekt als das kleinere Übel fast schon sympathisch. Und als quasi-etabliertes Event-Registrierungssystem hat Facebook leider den Zwangsverpflichtungscharakter, den Google+ eben nicht besitzt. Das Datenschutzding ist für mich eher der Auslöser, um dieses mehrmonatige Experiment jetzt zu beenden. Nur weil ich finde, dass die Spackeria die richtigen Fragen stellt, muss ich mir persönlich Datenfrechheiten ja trotzdem nicht gefallen lassen.
Clustering
Google wird trotz des Scheiterns von Google+ im Netz weiterhin ein relevanter Player sein, aber die Chance einen eigenständiges soziales Netzwerk aufzusetzen ist vertan. Und das ist gut so – Google plus Facebook in einem Unternehmen gebündelt, bedeutete ein ungutes Klumpenrisiko für das Netz wie jeden Einzelnen. Einzelne ohne Google-Konto verfügbare Dienste werde ich weitehin gerne nutzen, wo es sich für mich anbietet – z. B. Chrome. Doch insgeheim freue ich mich gerade wie in einer donaldistischen Verschwörung gerade eine Suchmaschine namens Duck Duck Go als per Mundpropaganda rund geht – das erinnert an 1998 (oder 1999) als da diese minimalistische studentische Suchmaske auftauchte.
Google Docs war nie mein Ding, darauf kann ich gut verzichten, ebenso wie auf die Google Mail-Adresse. Ich habe mich während des Google+Profillöschvorgangs von Googles Autorität so einschüchtern lassen, dass ich mein Rumpf-Konto doch beibehalten werde. Ich bin jetzt ein “Downgrader”. [1]
Style does matter? Not.
Seit rund vierzehn Tagen bin ich auf Facebook aktiv und Google+ hat sich als hervorragendes Bootcamp für meine Anpassung auf das ungeliebte Fratzenbuch erwiesen. Klar, im Vergleich zu Facebook in seinem Windows 3.11-Style hat Google+ einige Eleganz und Aufgeräumtheit, aber eben ohne einen klaren Produktvorteil langt das nicht. Im Gegenteil Facebook hat inzwischen fast so einen rumpeligen Alltagscharme einer digitalen Berliner Pilsstube.
"It is also about the disappearance of our own memories and data, things that we wanted to keep forever but which will, because of technological progress, the aging of a technique, or the self-destruction of a supporting system, soon no longer exist." The Ghost Off The Shelf, Exhibition CTM.12 – SPECTRAL
Heute vormittag fand die gemeinsame Pressekonferenz der seltsam verschwisterten Festivals transmediale 2k+12 in/compatible – festival for digital art and culture berlin [1]und CTM.12 SPECTRAL – Festival for Adventurous Music and Related Arts[2] im Haus der Kulturen der Welt statt. Da der CTM schon heute abend, Montag, den 30. Januar 2012 offiziell mit einer Aufführung eines Werks der französischen Elektro-Avantgarde-Komponistin Eliane Radigue [3] im Berliner Hebbel am Ufer 1 (HAU 1) beginnt, versuche ich hier schon einige Eindrücke vom geplanten Programm und von der schon seit Freitag im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien zusammenzufassen.
Jan Rohlfs, neben Oliver Baurhenn und Remco Schuurbiers die verantwortlichen Köpfe des aus einem begleitenden “Club Transmediale” hervorgegangenen Festivals für Wagnismusik und damit verwandte künstlerische Positionen, formulierte in der Pressekonferenz ein sehr umfassendes kuratorisches Statement [4], das im Wesentlichen um das wachsende Unbehagen am “Kontrollverlust” (diesen Begriff hat er nicht gebraucht) der in den exponentiell wachsenden digitalisierten “Anarchiven” verborgenen Nicht-Wissens (im Sinne eines Rumfeldschen “unknown Unkonwns”) drehte:
“Er gewinnt Form in Gestalt von Heimweh, Transzendenzsehnsucht oder Retromanie und gerät umso stärker, je eindringlicher die technologische Enteignung und Delokalisierung erfahren wird.” [5]
Die von Thibaut de Ruyter kuratierte Ausstellung “The Ghost Off the Shelf” wie das Gesamtfestival widmen sich also der spürbaren Faszination und Beschäftigung mit (vorgeblich?) nicht hintergehbarer, materieller Restanzen der Produktions-, Aufführungs- und Speicherungprozesse, die in der vordigitalen Ära dem jeweiligen Medium auf den Leib geschrieben waren und als nun als “Phantomeffekte” (wie in Phantomschmerz) eine tiefenhermeneutisch zu erschließende Bedeutungsebene versprechen, der die CTM-Projekte sogar bis in die Halbleiter-Molekülketten der Medienapparate nachzusteigen bemüht sind (“The Crystal World Open Laboratory”):
“Das ist kein absichtsvolles künstlerisches Programm. Vielmehr ist es feinnerviges, arbeitsames, mal dunkles, mal fröhliches Experimentieren mit Unheimlichem, Verstaubtem und Trash, der Rückgriff auf Vergangenes und Verworfenes bis hin zur Archaik, die Lust am Verformen, Verhallen, Verrauschen und Verflüssigen, Aufbrechen, Verkleben und Verspleißen; geradezu die letzten Mittel, die eingesetzt werden, wo ein Masterplan zwangsläufig fehlen muss.” [5]
Nach dem Tod Conrad Schnitztlers [6] im letzten Jahr passt in diese Auseinandersetzung auch die Archäologie des West-Berliner Zodiac Free Arts Lab [7], einem Hackerspace avant la lettre für elektronische Musik in den 1960er Jahre, der für die spätere Krautrock-Bewegung bestimmend war, was mit der CTM-Spielstätte HAU 2 quasi am Originalort (heute sehr profan das WAU – Wirtshaus am Ufer) nachvollzogen werden kann.
Kontrollverlust im virtuellen Bällebad 2D: Alles klebt im “The Obliteration Room” von Yayoi Kusama, Quelle: booooooom.com
Im Jahr 2000 habe ich im Rahmen einer Konferenzredaktion für die inzwischen vergessene Berlin Beta Versionen an einem Gesprächspanel [1] mitgewirkt, bei dem Wau Holland und Rainer Langhans aufeinander getroffen sind. Ich kann mich nicht mehr erinnern, was sie zusammen mit den anderen drei Teilnehmern Ossi Urchs, Derrick de Kerkhove und dem Moderator Christian Ankowitsch genau gesagt haben, aber ein bei Telepolis archivierter Artikel von Stefan Krempl hat mich ein wenig aus meinem “Digital Delirium” [2] geholt. Und ich weiß auch nicht, ob Rainer Langhans und Wau Holland später noch einmal zusammengetroffen sind, aber bei der listig in die Nachbarschaft des 28. Chaos Communication Congress [3] gesetzten #Spack0, der Pilotzusammenkunft der datenschutzkritischen Spackeria [4]wäre eine gute Gelegenheit für eine Reprise gewesen. Wau Holland ist im darauffolgenden Jahr 2001 gestorben. Wie sehr er fehlt, wird jetzt im Abstand deutlicher als unmittelbar danach im Post-9/11-Aftermath, als “im Club” auch atmosphärisch die Paranoia gegenüber Diskordia obsiegt hat: 23 > 42. [5]
Rainer Langhans hingegen schien ein geeigneter Apologet post-privatären Lebensstils für die #Spack0 zu sein. Eine Jahrzehnte umspannende Erfahrung von der öffentlichen Erregung als Mitglied der Kommune 1 bis zur Privatfernseh-Inszenierung als Bewohner des RTL-Dschungelcamps schienen einem Keynote-Spacken würdig. Doch als den Faschismus verherrlichende Zitate, u. a. dieses NDR-Interviews aus dem Jahre 1999 [6], ans Licht kamen, unterzog die darauf folgenden Reaktionen das spinnwebzarte Spacken-Netzwerk einem erheblichen Stresstest, so dass die lockere Orga-Gruppe Langhans leider wieder auslud. Zur Strafe flagellierte sich die Spackeria in einem eigenen Fail-Debatte [7] auch zum #LanghansGate. Wie eingangs erwähnt, haben wir damals im “digitalen Delirium” Rainer Langhans Faschismus-Flirt nicht gekannt – das Internet war halt noch nicht so agil wie heute.
Steve Jobs’ Tod im letzten Jahr hat die hippiesken Wurzeln der “kalifornischen Revolution” noch einmal in Erinnerung gerufen, die auch Rainer Langhans wie Wau Holland in ihrer speziell bundesrepublikanischen Tradition der weltweiten Alternativbewegungen verkörperten – der erste als Alt-68er, der jüngere Wau Holland als Protagonist der ernüchterten postradikalen 78er-Generation nach dem “deutschen Herbst”. Geradezu post-ideologisch visionär war Waus Verständnis vom Computer als einem möglichen individuellen Emanzipationsinstrument, während dieser im alternativen Mainstream zu Gründungszeiten des CCC im Jahre 1981 noch als Repressionsinstrument von Big Business, Big Government und Big Brother galt. Ich bin mir sicher, Wau Holland hätte auf der 0. Spackeriade eine Rede gehalten; es wäre eine Schlüsselrede geworden. Denn die Geschichte einer Ablehnung beginnt sich zu wiederholen. War das damalige Feindbild des linksalternativen Gefühligseligkeitshumanismus der Computer an sich, so ist es heute das sich langsam herausbildende und ins Nachmenschliche zu wachsen drohende Potential der universellen Vernetzung der Datenreisenden.
Behind Enemy Lines?
Auch wenn die Spacken sich auf dem 28C3 für ihre letzten vorbereitenden Gespräche der 0. Spackeriade im sticky “Bällebad” des Art & Beauty im bcc getroffen hatten, war das “Endorsement” bei den offiziellen CCC-Granden wie manchen Engeln an der Basis für die im .HBC [8] benachbarten Komplementärveranstaltung der Spacken sehr zurückhaltend bis ‘bekreuzigend’. Während die bisherigen Off-Congress-Veranstaltungen z. B. der abgewiesenen Vorträge mit wohlwollenden Desinteresse begleitend wurden, war die Abgrenzung heuer schon deutlich: Spackeriade? “There were no results matching the query,” wirft die Suche auf dem 28C3-Wiki aus.
Wenn das so weiter geht – und die Fassungslosigkeit und bisweilen schon persönlich unangenehm werdende Entfremdung zwischen diesen Lagern macht es nicht gänzlich unwahrscheinlich –, wird in Zukunft einem Unvereinbarkeitbeschluss zwischen Congressteilnahme und Spackeriade führen; offiziell von CCC-Seiten natürlich mit der Begründung eines sowieso schon überbuchten Congresses. Es droht das reziprok-paradoxe Ergebnis, dass sich die Post-Privacy-Spacken klandestiner und konspirativer Methoden bedienen werden müssen, um sich den Congressbesuch erschleichen zu können, während gleichermaßen die CCC Veranstaltungs GmbH biometrische Zugangsschranken mit der Auswertung der stationär vor dem .HBC kreisenden Qudrocoptern füttert, um deren feindselige Infiltration zu unterbinden. So bekommt das 28C3-Motto des sich “Hinter-feindlichen-Linien-Tunmmelns wenigstens praktische Relevanz, ohne dass sich eines der Lager überhaupt dahin bewegen müsste. Soweit jedenfalls die “Spökenkiekerei” [9] von @mspro, @erlehmann und mir anlässlich der nachcongresslichen #Tassebier auf der c-base.
Quo vadis?
Es ist interessant, wie eine aus dem Off kommende Untergrundbewegung wie der Chaos Computer Club mit zunehmend gesamtgesellschaftlicher Akzeptanz und Etabliertheit Flanken gegenüber neuen Fragenstellungen aufreisst, deren Legitimität nicht einmal als intellektuell inspirierend verstanden wird. Der CCC regiert auf die Post-Privacy-Idee hilflos wie Greenpeace auf Klimawandel-Euphoriker: “No fine wines from Norwegian woods, please.” Die Antwort ist pater- bzw. maternalistich (die Zuschreibung auf “Spacken” geht auf schließlich auf eine der von der masochistisch veranlagten politischen Klasse neuerdings geschätzten “rotzfrechen” Bemerkung Constanze Kurz’ zurück) und gerät ins Stockkonservative: “Spielt nicht mit den Schmuddelkindern!” Wenn die Spacken im schlimmsten Falle als Vorbereitungsnazis gelten mögen, die der kommenden Überwachungsgesellschaft den totalitaristischen Stachel rechtzeitig ziehen möchten, so ist dies die angemessene Reaktion auf die jetzt schon gelebte Wirklichkeit. Dass darüberhinaus manche Diskussionen innerhalb der Spackeria durch utopieverdächtige Totaltransparenzvorstellungen geprägt zu sein scheinen, denen nach durch einen wirksamen Datenschutz Dritter sogar das Ausleben der eigenen “Datalove” unzulässig beschnitten wird, ist zumindest eine neue radikale Freiheitperspektive, die sich einmal nicht auf die sonst üblichen bloß noch fatalistisch links-defensiven Einhegungsaktivitäten beschränkt.
Damit einhergehend gab es gegenüber manchen gar nicht so neuen Gepflogenheiten auf dem Chaos Communication Congress dieses Jahr eine deutlich wahrnehmbare Kritik seitens der feministischen ‘Diskurspolizei’ – Stichwort: #Genderifizierung. Und das ist gut so. Das alles kommt mir beinahe wie ein historisches Re-enactment der SDS-Frauenbewegung vor, die die damaligen männlichen Vorstinker auf den Vortragspodien ebenfalls sehr überraschte. Die neue und meines Erachtens übersensibilisierte Political Correctness (“Balls of Steel-Award”) resultiert übrigens aus den Diskussionen, die die dem Chaosumfeld nahe stehenden Piraten schon erleben durften. Im knallharten politischen Parteienwettkampf wurde der noch um Welpenschutz bemühten jungen Partei schon in die meist männlichen Weichteile getreten. Oder den “höhnischen Unterton” [10] einer Congress-Traditionsveranstaltung emulierend: Dass diese Diskussion den CCC nicht unberührt lassen würde, ist vielleicht der Security Nightmare, über den wir nächsten Jahr am lautesten gelacht haben werden.
Teils in Überschneidung mit seinem sonntäglichen FAS-Artikel [1] zieht Frank Schirrmacher in seinem Artikel Digitales Gedächtnis. Wir brauchen eine europäische Suchmaschine[2]aus der einer bestimmten Lesart der Ergebnissen einer US-Forschungsstudie [3] zur Nutzung von Suchmaschinen weit reichende Konsequenzen. Er sieht darin eine mögliche neurologische “Zäsur” in menschlichen Kulturisationsgeschichte.
Ein schönes Zitat aus diesem Artikel ist mir aufgefallen, da ich vor allem den hier erwähnten Film als eine Art Zäsur in der Geschichte der Science Fiction als audiovisuell Leitmedium ansehe:
“Man kann die visionäre Größe des ersten ‘Matrix’-Films nicht genug loben: Wir alle werden buchstäblich hineingesogen ins Netz, selbst die, die nicht mit iPhones, sondern noch von öffentlichen Telefonzellen aus telefonieren.”
Auf der re:publica 2008 habe ich mir mit dem These “SF – Der neue Western?” einige Trollkommentare eingefangen, die mit meiner Beobachtung, dass SF zu einem erstarrten Genre degeneriert sei, nicht steil gingen, [4] Aber Matrix hatte ich in diesem Zusammenhang mit dem legendären Spaghetti-Western und als “Pferdeoper” verhöhnten Spiel mir das Lied vom Tod (Über grundsätzlich spoilernde deutsche Filmeintitelungen gibt es zwischenzeitlich bestimmt einige Filmseminare, oder?)
Ich will Schirrmachers Thesen hier gar nicht weiter bewerten, außer, dass ich die Schlussforderung nach der europäischen Suchmaschine nicht so richtig verstehe. Das erledigen im übrigen UBERMORGEN.COM mit ihrem Google-will-eat-itself-Projekt doch schon auf der Zeitachse. [5]
UPDATE: Auf einen Beitarg von +Christoph Kappes hat sich eine bemerkenswerte Thread guten Beiträgen aufgerollt, an dem sich erfreulicherweise +Frank Schirrmacher rege beteiligt hat. [6]
Es gibt einige wichtige Passagen in Frank Schirrmachers ausschlaggebenden Text, die ich für bemerkenswert halte:
“‘Es sieht so aus’, so Schmidt, ‘dass Sie im Jahre 2029 in einem einzigen Harddrive elf Petabytes (eine sehr große Zahl) digitalen Speicher für weniger als 100 Dollar kaufen können. Dieses Gerät wird nach meinen Berechnungen sechshundert Jahre lang jeden einzelnen Tag 24 Stunden lang in DVD-Video Qualität speichern können.’“
“Ein ganz leises Vorbeben hat heute begonnen, und man muss Schmidt sehr ernst nehmen, wenn er sagt, dass das Internet-Zeitalter gerade erst begonnen hat.”
“Es ist üblich, dass solche Debatten von den Auskennern sofort relativiert werden. Und man uns gönnerhaft wissen lässt, der technologische Fortschritt lasse sich von solchen Bedenken nicht aufhalten.”
Hier macht er sich ein wenig klein, aber es ist natürlich auch eine Einladung an die traditionelle FAZ-Zielgruppe, die nicht in der Netzkultur zu Hause ist, aber über die konstante und durch die CCC-Granden und damit “TÜV-geprüften” Leitartikel Frank Riegers langsam eine Ahnung davon erhält, dass dieses Internet keine vorübergehende Modeerscheinung ist.
“Google übernimmt nicht nur das Speichern faktischer Wissensinhalte; Google – und das hat es bei noch keiner Externalisierung gegeben – übernimmt auch die Berechnung, Organisation und Deutung der Assoziationen, die wir beim Gebrauch dieses Wissens haben – wahrscheinlich ist das sogar der eigentliche, in der Tat faszinierende Hauptzweck […].”
Trotzdem ich bleibe Zukunftsoptimist und damit relativierender Netzapologet. Erst wenn ein so mächtig aufalgorithmisiertes Google in preemptiver Echtzeit-Prophetie den 4chan & Co.-Internetmeme in seinen Google-Doodles vorgreifen würde, würde ich in Schirrmachers Kassandrarufe einstimmen.
Frank Schirrmacher arbeitet weiter an seiner Stellung als raunende Kassandra des kommenden digitalen dunklen Zeitalters. In seinem gestrigen FAS-Artikel[1] tarnt er eine allerdings tagesmedienpolitisch motivierte Stellungnahme, in der die Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH Partei ist, mit einem theoretischen Überbau, dessen Grundannahme lautet, dass der gesamtgesellschaftliche Sinnstiftungsapparat durch disparate Zeitwahrnehmungen aus den Fugen gerät.
“Es spricht einiges dafür, dass künftige private, intellektuelle und soziale Konflikte an dieser neuen Unstimmigkeit von Internet-Zeit und Realzeit ausbrechen werden – die Zeitungen und das Fernsehen sind auch hier nur die Vorreiter.”
Wie eingangs schon erwähnt, geht es Frank Schirrmacher um eine Argumentation im Konflikt der Verlage gegen die publizistische Konkurrenz durch die mehr als nur programmbegleitenden News-Webseiten der öffentlich-rechtlichen Sender. Als gefühlt Einziger in der oft so einmütig auftretenden Netzgemeinde, halte ich diese Position für sehr nachvollziehbar und wünsche den Verlegern viel Erfolg.
Die Zeitdisruptionen halte ich aber für kein neuartiges, oder gar grundsätzlich umwerfendes Ding. Der von Schirrmacher beschriebene “Neue-Zeiten-Mensch” begegnet uns schon als Phileas Fogg in Jules Vernes Globalisierungsklassiker In 80 Tagen um die Welt. Und nach wie vor ist die Einführung einer allgemeinen Internet-Standardzeit als Ersatz der GMT bzw. UMT nicht so recht vom Fleck gekommen. Oder haben je Twitter, Facebook und Co. Swatchs “Beat Time” [2] implementiert?
In der gestrigen FAS gibt es auch eine tolle ultrakompakte, aber um so unterhaltsamere und informativere Würdigung anläßlich des Marshall McLuhan-Centennials durch Claus Pias, und auch Schirrmacher bezieht sich auf McLuhans erweiterten Medienbegriff sowie das Verblassen der Gutenberg-Galaxis in der digitale Revolution. [3]
Ich finde, dass eine Antwort auf Schirrmachers Symptombeschreibung eher sein müsste, dass mit dem Aufkommen des digital vermittelten globalen Dorfes mit seinen Kirchturmpolitiken (“Während in Facebook noch Face-to-Face-Videochats gefeiert werden, starten in Google+ schon echte Hangouts.”) die traditionellen Mittlerinstanzen der massenindustriellen Zeitalters kollabieren – die Presse, die Post, die Werbung. Dies findet in der Journalisten-gegen-Blogger-Kontroverse und dem sich ankündigenden Zeitungssterben nur schneller statt als in anderen Sphären wie dem “maschinenlesbaren Bürgeramt” oder der Liquid Democracy, wo Datenübetragungen nicht nur Meinungsäußerungen sind – sondern Hoheitsakte.
Es ist auch nicht wahr, dass die “digitale Revolution” zuerst die Zeitungsverlage gefressen hätte; die inzwischen jahrzehntealten Klagen der “Content Mafia” erst aus der Musikbranche, jetzt auch Film und Fernsehen belegen dies.
Auf dem weltweiten Dorfplatz werden die wichtigen Gespräche zwischen den unmittelbar interessierten Akteure wieder selbst geführt – ohne Agenda-Setting und Filterinstanzen wie Werbung und Presse. Das Zeitalter der Massenmedien wird vergehen “wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand.” [4]
Aber eine wichtige Stimme bleibt wichtig, wie diese Reply auf einen Blogeintrag in faz.net belegt.