"Nichts ist, wie es scheint." Wieviel Transparenz verträgt die Wahrheit und wem nutzt das? Source: gallery.rasda.de "AllColoursAreBeautiful"
Warum zieht es Institutionen, Parteien oder auch nur Primärkontaktgruppen (sog. Familien) regelmäßig im Sommer aufs Feld zum Camping? Sommerlager der Falken, der Wiking-Jugend, der Pfadfinder oder – in ungewöhnlich einträchtiger niederländisch-deutscher Abstimmung – alle zwei Jahre die Camps der internationalen Hacker Community? Es geht im wahrsten Sinne um Kampagnenfähigkeit – um Mobilisierung, Dislozierung und Power Projection: Was wir können, was wir machen, was wir sind, das können wir unter ganz anderen schwierigeren Bedingungen ebenso leisten, beweisen, darstellen. Seht her! Wenn wir das schon auf dem Acker hinkriegen, dann denkt mal drüber nach, wie wir unter normalen Umständen performen!
Kampagnenfähigkeit benötigt Disruption – den Ausstieg aus dem Alltag. Quer gegen alle normalen Arbeitsteilungen und Hierarchien werden in einer solchen disruptiven Kampagne neue Teamkonstellationen zusammen gewürfelt, wie sie sich sonst nicht ergeben würden. Auf einmal finden sich die Leute mit LKW-Führerschein zusammen, die Hobbyköche machen gemeinsame Volxküche, die Macher trennen sich von den Trägern – ob von Bedenken oder Verantwortung. Das wird beim Chaos Computer Club und seinen Erfa-Franchisenehmern nicht anders sein. Ein bestimmt auch noch einmal von den jährlichen Chaos Communication Congress-Crews unterschiedenes Team geht an diese seit 1999 alle vier Jahre statt findende Sommerveranstaltung heran, opfert Zeit, Energie, Urlaub, um unvergessliche Momente zu schaffen. [1]
Nur der Vorstand des Chaos Computer Clubs, der in Hamburg eingetragenen Dachorganisation, scheint nicht so stark in die Arbeit vor Ort eingebunden gewesen zu sein, als dass er nicht diesen Freiraum ohne Not zu Nutzen gewusst hätte, der interessierten Öffentlichkeit ins Bewusstsein zu bringen, dass er existiert und damit das CCCamp 2011 mit einem ganz besonderen Finale zu bereichern. Vorstand, aber Nicht-mehr-Sprecher Andy Müller-Maguhn hatte in der wohl ungewöhnlich rasch auf die aktuelle Entwicklungen vom Mittwoch reagierende klassische Printausgabe des “ehemaligen Nachrichtenmagazins” (in chaosnahen Kreisen oft gehörtes Synonym für Der Spiegel) ein Interview gegeben, von dem später auf SpOn dann nur schwerumwölkte, aber für die CCC-Vorstandskollegen wohl richtungsgebende Auszüge veröffentlicht wurden. [2]
Ich kann über die Wikileaks- vs. OpenLeaks-Debatte und den den beteiligten Protagonisten zustehenden jeweils größeren Misskredit nicht spekulieren, aber die dann durch eine Pressemitteilung des CCC (“Finowfurt, den 13.08.2011”) kommunizierte (dem Vernehmen nach “einstimmige”, d. h. nicht “einmütige”) Entscheidung über den Ausschluss des OpenLeaks-Frontmenschen Daniel Domscheit-Berg, ist mehr als nur “unsouverän” (so Frank Rieger, der als “Sprecher” zusammen mit Constanze Kurz in den letzten Jahren stark das Bild des CCC als einer diskursbestimmenden zivilgesellschaftlich integrierenden überparteilichen Kraft geprägt hat). [3]
Was bisher geschah, lest ihr am besten hier:
- Linus Neumann: Kommentar: Vorstand schmeißt Daniel Domscheit-Berg aus dem CCC [4]
- Philip Banse: Eitler Hahnenkampf beim CCC – Chaos Computer-Club wirft Domscheit-Berg raus [5]
Ich kann Philip Banse nur zustimmen, da ich den Auftritt Domscheit-Bergs per Stream mitbekommen habe, und er definitiv dort nichts von einem irgendwie “CCC-zertifizierten Projekt” erzählt hatte. Ich hatte seine Ankündigung zur testweisen Öffnung der OpenLeaks-Plattform sogar eher als Zugeständnis an die Community denn als Einvernahme zu Marketing-Zwecken verstanden, die endlich einmal was Belastbares von diesem bisher stets nur angekündigten Ding sehen wollte. Sie haben dann ja auch den Testbetrieb nicht in der Weise zum Laufen bekommen.
Und darüberhinaus halte ich das ganze Projekt OpenLeaks für einen totalen technik-euphemistischen Pseudo-Lösung für ein Problem, das auf ganz anderer Ebene gelöst werden muss. Tosten Kleinz hat hierzu in seinem Notizblog zumindest mal für mich klargezogen, was bisher im “Hahnenkampf” viel zu kurz gekommen ist:
“Die Produktion neutraler brauner Umschläge wurde nicht eingestellt. Wenn ihr etwas habt, das unbedingt an die Öffentlichkeit sollte: packt es in einen solchem Umschlag und schickt es einem Journalisten oder einer NGO, der ihr vertraut. Wenn ihr paranoid seid, zieht Handschuhe an und hinterlasst keine Speichelspuren auf der Briefmarke.” [6]
Wichtiger ist aber am unsolidarischen und unklugen Vorstandsbeschluss des CCC, der im übrigen bei den großen Zweifeln an der Seriosität von OL zuerst einmal den Vortrag von Domscheit-Berg im offiziellen CCCamp-Programm hätte skippen lassen können, was Peter Glaser dann so luzide imaginativ zusammen gefasst hat:
“Wenn ich bei einem Geheimdienst wäre, würd ich mich heute still lächelnd vors Kaminfeuer setzen und mir die Hände reiben.” [7]
Die Zersetzung oppositioneller Kräfte ist ja wohl das effektivste Mittel, über das die geheimen Dienste verfügen, da die Macht des Mobbings inherent in allen zwischenmenschlichen Bereichen, aber besonders unter so herausragenden und engagierten Inidividuen und Diven virulent ist. Gerade der sonst so auf alles und jeden im Fnord-Jahresrückblick herabschauende CCC hätte in seinen Vorstandsbeschluss unter diesen Auspizien betrachten müssen – egal, ob hier reale Zersetzung vorliegt oder man nur Paranoia schiebt.
Apropos Paranoia: Ich finde es ja einen großartigen hacktivistischen Akt von Social Engineering, dass es Daniel Domscheit-Berg gelungen ist, alle Welt (und vielleicht auch die “Granden” des CCC) Glauben zu machen, er hätte anstelle eines einzelnen Gebrauchtrechners ein hocheffektiv verteiltes Servernetzwerk mit den Wikileaksdaten angelegt. Wenn er das im Angesicht der Gegner, denen WL die Hosen runter gezogen hat, ernsthaft vom Glaubwürdigkeits-Konto abbucht, der sollte wirklich weiter mit Förmchen in der Sandbox spielen.
Zu guter Letzt hat sich der CCC als “galaktische Gemeinschaft von Datenreisenden” mit seinem über 30 Jahre erlangten souveränen Status, der es ihm zunehmend erlaubte, das politische Establishment in immer stärkeren Maße vor sich her zu treiben und permanent zu demütigen, einen bemerkenswerten Wiedereintritt in die Sphären des Irdischen und Unterirdischen geleistet. Das wird uns allen schaden.; in vier Jahren wird es aber wieder ein Chaos Communication Camp geben.
UPDATE: Vielleicht aufgrund der aufreizenden Headline dieses Posts ging der RBB mit seiner TRACKBACK-Redaktion steil und hat mich am Samstag, den 20. August 2011 in der Live-Sendung kurz telefonisch verhört. [8]
[1] soup.io: Aggregiertes #CCCamp11 in schönen Bildern
[2] SpOn: Chaos Computer Club: Hacker distanzieren sich von OpenLeaks
[3] @frank_rieger
[4] Netzpolitik.org: Kommentar: Vorstand schmeißt Daniel Domscheit-Berg aus dem CCC
[5] Deutschlandradio Kultur: Eitler Hahnenkampf beim CCC – Chaos Computer-Club wirft Domscheit-Berg raus
[6] notizblog: Das Verdienst von Wikileaks
[7] @peterglaser
[8] TRACKBACK-Podacst TRB 243 von Radio Fritz. Mein Kurzeinsatz bei Minute 10.16
Das Foto oben von der “AllColoursAreBeautiful”-Installation auf dem CCCAmp2011 wurde PHUTURAMA freundlicherweise von rasda zur Verfügung gestellt: http://gallery.rasda.de/v/cccamp11/