Drehbuchverfasser und PERRY RHODAN-Autor Hartmut Kasper macht Maske, Quelle: Florianfilm
Zum 50-jährigen Jubiläum von PERRY RHODAN – “Die größte Science-Fiction-Serie” sind eine Menge Dinge auf den Weg gebracht worden. Inhaltlich am Interessantesten der Launch eines alternativen literarischen Parallelkosmos namens PERRY RHODAN NEO [1], das eigentlich nur an der indiskutablen visuellen Aufmachung scheitern könnte. Im Transmitterfeld der öffentlichen Aufmerksamkeit auf das Jubiläum ist auch ein Dokumentarfilm [2] realisiert worden, der mit viel Sorgfalt und Zuneigung versucht, die Komplexität des “diskreten Massenmediums” PERRY RHODAN und seiner Anhänger- und Mittäterschaft allgemeinverständlich zu erzählen.
Und dies ist schwierig, denn PERRY RHODAN als popkulturelles Phänomen sah sich seit der 68er-Zeit einer als unfair empfundenen verleumderischen Presseberichterstattung [3] ausgesetzt, die in ihrer Reflexartigkeit der heutigen immer wieder aufgefrischten “Killerspiel-Debatte” gegenüber der Computerspiel-Industrie ähnlich ist. Im Schatten dieser das Romanheftgenre abgelösten Gefährdung der Jugend erscheint PERRY RHODAN als “Pulp Fiction” heutzutage in einem schon fast romantisch verklärten Spätnachmittagsglanz einer untergehenden Gutenberg-Galaxie, die einen Film wie Perry Rhodan – Unser Mann im All als öffentlich-rechtlich unterstützte ARTE-Filmproduktion in Kooperation mit WDR und ZDF erst ermöglicht hat.
Fast tröstlich, dass da jemand bei der renommierten Hamburger Wochenzeitung Die Zeit die journalistischen Beissreflexe aus der Gewohnheit des Archiv-Palimpsests heraus nicht unterdrücken konnte und dem Autor Johannes Thumfart die Filmrezension zu einer veritablen Publikumsbeschimpfung gegenüber Machern und Lesern der PERRY RHODAN-Serie als Kleinbürger-Vorhöllenbewohnern ausartete. Im Internet-Zeitalter kam das in Zusammenspiel mit der üblichen “Hitler”-Referenz beim kreativen Headline-Basteln einer Einladung zum “Shitstorm” durch das Fandom gleich, dem zumindest die inkriminierte Schlagzeile auf Zeit Online weichen musste. Die Rezension ist trotz ihres aggressiv-überheblichen Tonfalls lesenswert und nicht grundfalsch in einigen Beobachtungen des PR-Soziotops. [4]
Die Drehbuchautoren Claudia E. Kraszkiewic und Hartmut Kasper (unter dem Pseudonym Wim Vandemaan [5] einer der interessantesten und lesenswertesten aktuellen PR-Autoren) und Regisseur André Schäfer (u. a. Lenin kam nur bis nach Lüdenscheid [6]) versuchen der Vielfalt des Serien- und Vermarktungs- und Publikumskosmos über eine gleichermaßen vielfältige visuelle Metaphorik auf den Grund gehen zu wollen. So dient als Vorspann eine eindrucksvolle CGI-/SFX-Odyssee der SOL aus Michael Peters und Dirk Schulz’ Renderfarm, die sich aus kosmischen Weiten den niederrheinisch-irdischen Gegebenheiten nähert (und einer ähnlich angesiedelten Title Sequence in der aktuellen Green Lantern-Verfilmung kaum nachsteht). Es gibt den auralen Erzählstrang, in dem dem Zuhörer die literarische und ethische Qualität einiger ausgewählter kanonifizierter PERRY RHODAN-Textpassagen durch die Hörbuchstimme Josef Tratniks nahe gebracht werden.
Und es gibt Autor Hartmut Kasper als Michelin-Männchen-artiges Raumfahrer-Teletubby, der die immerwährende kosmische Entrückung des Intensiv-Serienlesers im auffäligsten Kontrast zur schnarchnasigen bundesrepublikanische Tristesse im Nachkriegswiederaufbau-zerstörten der heutigen “heiligen Stadt Köln” nachstellen kann; sich im weiteren Verlauf der Schnittfassung aber in seiner wunderbar gelungenen Pseudo-Variablen Kokonmaske [7] als Heinrich Böll unterschiedliche Gesprächspartner und Situationen durchläuft – am Unterhaltsamsten im Vurguzz-seligen Zusammentreffen mit ARD-Literaturpromoter Denis Scheck (druckfrisch!) und visuell am Eindrucksvollsten mit Risszeichner und Production Designer Oliver Scholl [8] beim Besuch eines Flugzeugfriedhofs in der kalifornischen Mojave-Wüste, der in seiner melancolischen Skurrilität selbst fast eine Szene aus einem William-Voltz-Roman hätte stammen können (“Terrapatrouille”).
Und um die eingängig archaische Figurenkonstellation der Serien-Frühzeit (siehe auch dann PR NEO) mit dem naiven Blick der damaligen jugendlichen Rezeption kurzzuschließen, erleben wir Hartmut Kasper darüberhinaus im Dialog mit einem Jung- und Idealleser vorm Modellbau-Diorama mit den Spielfiguren-Set des durch VPM löblicherweise geschassten HJB-Verlags (wegen “Kaiserfront”- nicht Kaiserkraft-tümelnden Proto-Nazi-SF-Gebarens, vielleicht deshalb auch die Satire [?] auf PERRY RHODAN-Chefredakteur Klaus N. Frick).[9]
Diese Aufzählung macht das Dilemma augenfällig, ein so komplexes Thema, das auf den ersten Verdacht hin doch reichhaltige visuelle Anknüpfungspunkte zu bieten scheint, in eine persistente Bildsprache zu überführen. Ansatzweise gelingt dies durch die Wahl der Gesprächsschauplätze, die die Extremsituationen der Serienprotagonisten zitieren: die Einöde fremder Wüstenplaneten, die Eishöllen sonnenferner Schauplätze, die Hinterlassenschaften weltkriegerischer Abgründe – ironischerweise philosophieren die beiden österreichischen Autoren auf der Flakbunker-Plattform des ehemals großdeutschen Wiens über die Annäherung ans Piefketum via PERRY RHODAN. Seltsam die hermetisch metallisch vom Tageslicht abgeschnittene Atmosphäre bei den sehr kurzen Interview-Anteilen mit Klaus N. Frick bei VPM in Rastatt. Was wollen die Bilder hier uns suggerieren – eine Raumschiffleitzentrale zur Steuerung der umfangreichen Franchise-Systeme oder doch ein Hauch von Führerbunker?
Hier scheitert Regisseur André Schäfer grandios, dem es mit seinem preisgekrönten Lenin kam nur bis nach Lüdenscheid gelungen ist, die universelle Geschichte der deutschen Nachkriegslinken aus der Super-8-Nahperspektive einer Familienarchäologie heraus zu erzählen. Der Film ist unentschieden hinsichtlich seines Anliegens: Geht es um die Weltraum- und Science-Fiction-Thematik als eskapistisches Alltags- und jugendliches Ohnmachtsvehikel? Geht es wie eingangs des Films kurz und hoffnungsvoll aufscheinende Erzählperspektive darum, die bundesrepublikanische Mentalitätsgeschichte ungefiltert im populärindustriellen Massenmedium zu rekonstruieren? Geht es um die fünfzigjährige Geschichte dieser literarischen Singularität und ihrer keineswegs alleinstehenhenden Fankultur? Geht es um die seltsame Diskrepanz der Autoren zwischen bürgerlich-kleinstädtischer Lebensentwürfen und kosmologisch raumgreifenden Allmachtsphantasien?
Ich weiß es nicht. Für alle wichtigen Einzelaspekte des großen Mosaiks des Phänomens PERRY RHODAN werden im Laufe des Films Zeugen vorgestellt: die Autoren, die Sammler, die Leser, die Redakteure, die Literaturkritiker, die Sprecher, die Risszeichner, die Modellbau-Freaks, die Forscher und Astronauten, die Hinterbliebenen der “Gründerväter”, der U-Boot-Kommandant. Je länger der Film läuft, desto ratloser aber werde ich und gleichzeitig sympathischer wurden mir all die Menschen, die in diesem großen Gewebe mitwirken und gestalten.
So ist auch ein hintergründiges Kompliment für die PERRY RHODAN-Serie, wenn es klugen und erfahrenen Filmemachern nicht gelingt, die Einzigartigkeit und Magie dieser Serie einzufangen: PERRY RHODAN – Der Erbe des Universums ist so viel größer als Lenin. Oder in den Worten des ungenannten Frankfurter Buchmesse-Cosplay-Mädchens im Abspann – und damit schulterzuckendes Eingeständnis des eigenen Scheiterns an der Materie: “Wer ist eigentlich dieser Perry Rhodan?”
[1] PHUTURAMA: “Möchten Sie das Universum jetzt neu starten?” Fünf gute Gründe für PR NEO
[2] Die offizielle Website zu Andrè Schäfers Perry Rhodan – Unser Mann im All
[3] YouTube: Ein Monitor-Original-Beitrag aus dem Jahr 1969 über PERRY RHODAN
[4] ZEIT ONLINE: PERRY RHODAN – Der Weltraum als Modelleisenbahn-Keller (war: Der Ersatz-Hitler aus dem All)
[5] Perrypedia: Wim Vandemaan
[6] Die offizielle Website zu Andrè Schäfers Lenin kam nur bis Lüdenscheid
[7] Perrypedia: Vario-500 bzw. Pseudo-Variablen Kokonmaske
[8] Web-Portfolio von Oliver Scholl
[9] Nur vollständigkeithalber: HJB_Verlagsankündigung zu Ronald M. Hahns Captain Enfick, Temponaut, in: Die STAHLFRONT-Akten