Kontrollverlust im virtuellen Bällebad 2D: Alles klebt im “The Obliteration Room” von Yayoi Kusama, Quelle: booooooom.com
Im Jahr 2000 habe ich im Rahmen einer Konferenzredaktion für die inzwischen vergessene Berlin Beta Versionen an einem Gesprächspanel [1] mitgewirkt, bei dem Wau Holland und Rainer Langhans aufeinander getroffen sind. Ich kann mich nicht mehr erinnern, was sie zusammen mit den anderen drei Teilnehmern Ossi Urchs, Derrick de Kerkhove und dem Moderator Christian Ankowitsch genau gesagt haben, aber ein bei Telepolis archivierter Artikel von Stefan Krempl hat mich ein wenig aus meinem “Digital Delirium” [2] geholt. Und ich weiß auch nicht, ob Rainer Langhans und Wau Holland später noch einmal zusammengetroffen sind, aber bei der listig in die Nachbarschaft des 28. Chaos Communication Congress [3] gesetzten #Spack0, der Pilotzusammenkunft der datenschutzkritischen Spackeria [4] wäre eine gute Gelegenheit für eine Reprise gewesen. Wau Holland ist im darauffolgenden Jahr 2001 gestorben. Wie sehr er fehlt, wird jetzt im Abstand deutlicher als unmittelbar danach im Post-9/11-Aftermath, als “im Club” auch atmosphärisch die Paranoia gegenüber Diskordia obsiegt hat: 23 > 42. [5]
Rainer Langhans hingegen schien ein geeigneter Apologet post-privatären Lebensstils für die #Spack0 zu sein. Eine Jahrzehnte umspannende Erfahrung von der öffentlichen Erregung als Mitglied der Kommune 1 bis zur Privatfernseh-Inszenierung als Bewohner des RTL-Dschungelcamps schienen einem Keynote-Spacken würdig. Doch als den Faschismus verherrlichende Zitate, u. a. dieses NDR-Interviews aus dem Jahre 1999 [6], ans Licht kamen, unterzog die darauf folgenden Reaktionen das spinnwebzarte Spacken-Netzwerk einem erheblichen Stresstest, so dass die lockere Orga-Gruppe Langhans leider wieder auslud. Zur Strafe flagellierte sich die Spackeria in einem eigenen Fail-Debatte [7] auch zum #LanghansGate. Wie eingangs erwähnt, haben wir damals im “digitalen Delirium” Rainer Langhans Faschismus-Flirt nicht gekannt – das Internet war halt noch nicht so agil wie heute.
Steve Jobs’ Tod im letzten Jahr hat die hippiesken Wurzeln der “kalifornischen Revolution” noch einmal in Erinnerung gerufen, die auch Rainer Langhans wie Wau Holland in ihrer speziell bundesrepublikanischen Tradition der weltweiten Alternativbewegungen verkörperten – der erste als Alt-68er, der jüngere Wau Holland als Protagonist der ernüchterten postradikalen 78er-Generation nach dem “deutschen Herbst”. Geradezu post-ideologisch visionär war Waus Verständnis vom Computer als einem möglichen individuellen Emanzipationsinstrument, während dieser im alternativen Mainstream zu Gründungszeiten des CCC im Jahre 1981 noch als Repressionsinstrument von Big Business, Big Government und Big Brother galt. Ich bin mir sicher, Wau Holland hätte auf der 0. Spackeriade eine Rede gehalten; es wäre eine Schlüsselrede geworden. Denn die Geschichte einer Ablehnung beginnt sich zu wiederholen. War das damalige Feindbild des linksalternativen Gefühligseligkeitshumanismus der Computer an sich, so ist es heute das sich langsam herausbildende und ins Nachmenschliche zu wachsen drohende Potential der universellen Vernetzung der Datenreisenden.
Behind Enemy Lines?
Auch wenn die Spacken sich auf dem 28C3 für ihre letzten vorbereitenden Gespräche der 0. Spackeriade im sticky “Bällebad” des Art & Beauty im bcc getroffen hatten, war das “Endorsement” bei den offiziellen CCC-Granden wie manchen Engeln an der Basis für die im .HBC [8] benachbarten Komplementärveranstaltung der Spacken sehr zurückhaltend bis ‘bekreuzigend’. Während die bisherigen Off-Congress-Veranstaltungen z. B. der abgewiesenen Vorträge mit wohlwollenden Desinteresse begleitend wurden, war die Abgrenzung heuer schon deutlich: Spackeriade? “There were no results matching the query,” wirft die Suche auf dem 28C3-Wiki aus.
Wenn das so weiter geht – und die Fassungslosigkeit und bisweilen schon persönlich unangenehm werdende Entfremdung zwischen diesen Lagern macht es nicht gänzlich unwahrscheinlich –, wird in Zukunft einem Unvereinbarkeitbeschluss zwischen Congressteilnahme und Spackeriade führen; offiziell von CCC-Seiten natürlich mit der Begründung eines sowieso schon überbuchten Congresses. Es droht das reziprok-paradoxe Ergebnis, dass sich die Post-Privacy-Spacken klandestiner und konspirativer Methoden bedienen werden müssen, um sich den Congressbesuch erschleichen zu können, während gleichermaßen die CCC Veranstaltungs GmbH biometrische Zugangsschranken mit der Auswertung der stationär vor dem .HBC kreisenden Qudrocoptern füttert, um deren feindselige Infiltration zu unterbinden. So bekommt das 28C3-Motto des sich “Hinter-feindlichen-Linien-Tunmmelns wenigstens praktische Relevanz, ohne dass sich eines der Lager überhaupt dahin bewegen müsste. Soweit jedenfalls die “Spökenkiekerei” [9] von @mspro, @erlehmann und mir anlässlich der nachcongresslichen #Tassebier auf der c-base.
Quo vadis?
Es ist interessant, wie eine aus dem Off kommende Untergrundbewegung wie der Chaos Computer Club mit zunehmend gesamtgesellschaftlicher Akzeptanz und Etabliertheit Flanken gegenüber neuen Fragenstellungen aufreisst, deren Legitimität nicht einmal als intellektuell inspirierend verstanden wird. Der CCC regiert auf die Post-Privacy-Idee hilflos wie Greenpeace auf Klimawandel-Euphoriker: “No fine wines from Norwegian woods, please.” Die Antwort ist pater- bzw. maternalistich (die Zuschreibung auf “Spacken” geht auf schließlich auf eine der von der masochistisch veranlagten politischen Klasse neuerdings geschätzten “rotzfrechen” Bemerkung Constanze Kurz’ zurück) und gerät ins Stockkonservative: “Spielt nicht mit den Schmuddelkindern!” Wenn die Spacken im schlimmsten Falle als Vorbereitungsnazis gelten mögen, die der kommenden Überwachungsgesellschaft den totalitaristischen Stachel rechtzeitig ziehen möchten, so ist dies die angemessene Reaktion auf die jetzt schon gelebte Wirklichkeit. Dass darüberhinaus manche Diskussionen innerhalb der Spackeria durch utopieverdächtige Totaltransparenzvorstellungen geprägt zu sein scheinen, denen nach durch einen wirksamen Datenschutz Dritter sogar das Ausleben der eigenen “Datalove” unzulässig beschnitten wird, ist zumindest eine neue radikale Freiheitperspektive, die sich einmal nicht auf die sonst üblichen bloß noch fatalistisch links-defensiven Einhegungsaktivitäten beschränkt.
Damit einhergehend gab es gegenüber manchen gar nicht so neuen Gepflogenheiten auf dem Chaos Communication Congress dieses Jahr eine deutlich wahrnehmbare Kritik seitens der feministischen ‘Diskurspolizei’ – Stichwort: #Genderifizierung. Und das ist gut so. Das alles kommt mir beinahe wie ein historisches Re-enactment der SDS-Frauenbewegung vor, die die damaligen männlichen Vorstinker auf den Vortragspodien ebenfalls sehr überraschte. Die neue und meines Erachtens übersensibilisierte Political Correctness (“Balls of Steel-Award”) resultiert übrigens aus den Diskussionen, die die dem Chaosumfeld nahe stehenden Piraten schon erleben durften. Im knallharten politischen Parteienwettkampf wurde der noch um Welpenschutz bemühten jungen Partei schon in die meist männlichen Weichteile getreten. Oder den “höhnischen Unterton” [10] einer Congress-Traditionsveranstaltung emulierend: Dass diese Diskussion den CCC nicht unberührt lassen würde, ist vielleicht der Security Nightmare, über den wir nächsten Jahr am lautesten gelacht haben werden.
[1] Berlin Beta 3.0 Conference: RE:LOAD | Digital Delirium
[2] Telepolis: “Alles ist eins – außer der Null” von Stefan Krempl
[3] 28C3: Behind Enemy Lines-Veranstaltungs-Wiki
[4] Programm und Videos der 0. Spackeriade
[5]Paronoia & 9/11-Aftermath im Design des 18C3
[6] ARD-Magazin PANORAMA: “Von Mao zu Hitler: Studentenführer von 68 als Rechtsradikale” von Volker Steinhoff
[7] Video des #Spack0 abschließenden Meta-Panels “Spackeria FAILs Spezial”
[8] Website des .HBC – das ehemalige Haus Ungarn in Berlin-Mitte
[9] i heart digital life: zur nullten spackeriade. Lesenwert mit etymologischen Erkenntnissen zum Begriff “Spacke”
[10] mspro’s Blog Hier: Hacker, Geniekult und Kontrollverlust