“Wunschwirklichkeitsmaschinen in Ingolstadt” – Lamborghinis wahrer Star aber failt
Übermorgen, Freitag den 29. Juli 2011 schließt im Audi-eigenen museum mobile in Ingolststadt eine interessante Sonderausstellung von elf Lamborghini-Designstudien und Prototypen aus knapp 40 Jahren Firmengeschichte. [1] Ich habe es leider nicht geschafft, da vorbei zu fahren, aber ein Bericht bei Classic Driver gibt einen guten Eindruck von “Wunschwirklichkeitsmaschinen”.[2]
Lamborghini, seit Ende der 1990er Jahre in Audi-Besitz, ist der “Incredible Hulk” unter den Exotenmarken. Geboren aus narzisstischer Kränkung des Traktorenfabrikanten Ferruccio Lamborghini über die Ignoranz Enzo Ferraris und dessen schlechten Kundendienst, ist Lamborghini eine einzige automobile Trotzreaktion wider die Vernunft. Ist das Cavallino Rampante das Markenzeichen des großen Konkurrenten aus Maranello, so musste es in Sant’Agata Bolognese schon ein Raging Bull sein, der den Hengst wutschnaubend auf die Hörner nimmt.
In Blech geformter Machismo, der bis weit in die Gegenwart eine gefühlt gänzlich halbseidene Kundschaft anzieht (schönes Beispiel damals ausss Berlin: Kevin “Prince” Boateng), aber vergessen läßt, dass dieser Machismo offenkundig selbst in höchstrationalisierten Audi-dominierten QMS-Produktionszeiten noch mit einer gehörigen Portion Masochismus auf Kundenseite einherzugehen hat. [3] Lamborghini Automobile S.p.A selbst verkauft diese rüde Attitüde als “Italianitá”.
Aber Lamborghinis extremistischer Angriff auf den damaligen Sportwagen-Hochadel, nämlich Ferrari und Maserati, war nicht nur geprägt durch die Übernahme von im Rennsport schon üblichen Konstruktionsmerkmalen wie der V-12-Eigenentwicklung (durch den von Ferrari abgefallenen Giotto Bizzarini) oder die bis dato für straßenzugelassene Fahrzeuge ungewöhnliche Mittelmotorbauweise für den Miura [4], sondern spätestens mit diesem ersten Meisterstück von 1966 des bei Bertone arbeitenden jungen Marcello Gandinis auch für besonders radikale Designlösungen.
Verkörperte das Design des Miura die straßenzulassungstaugliche Verfeinerung der Mitte der 1960er-Jahre sich im Gran Turismo- wie im Prototypen-Rennsport etablierenden Konstruktionsprinzipien (z. B. der mehrfachen Le Mans-Siegerwagen vom Typ Ford GT40), so brach Gandini 1971 – nur fünf Jahre nach Premiere des bis dato konzeptionell konkurrenzlosen Miura – mit dem ersten oben abgebildeten Prototypen des Countach [5] alle, und nicht nur Lamborghinis bisherige Stierkampf-Namenskonventionen.
In der Geschichte des Automobildesigns ist dieser 1971er-Prototyp Countach LP500 wohl der “Urkeil” schlechthin, was ein wenig darüber hinweg täuscht, dass die Seitenlinie (auf dem Foto gut zu sehen) durchaus noch den sinnlichen Schwung der 1960er Jahre erahnen läßt. Unübertroffen allein deshalb, weil dieser Entwurf mit dem radikalen längsverbauten Mittelmotorchassis (zur erhöhen Stabilität um die Hochachse) und den ikonenhaften Schwenkflügeltüren Ausgangspunkt für eine ab 1974 gebaute straßenzugelassene Kleinserie wurde, die bis 1990 Bestand hatte und die gesamte Designsprache der Marke für die Ewigkeit determiniert hat. Ein zarter Versuch, noch einmal mit einem als Retrodesign erachteten Miura Concept des heutigen VW-Chefdesigners Walter de’Silva an die Vor-Countach-Ära anzuknüpfen, wurde konsequenterweise schnell wieder fallengelassen. [6]
Es gab radikalere und wildere Keile in den 1970er Jahren – von Marcello Gandini selbst, aber auch von Pininfarina und Giorgetto Giugaro (der den domestizierten Kantenstil mit Scirocco und Golf I in die norddeutsche Tiefebene exportierte). Aber dies waren alles reine Concept Cars und Designstudien ohne irgendeine realistische Serienoption: Alfa Romeo Carabo, Pininfarina Modulo, Maserati Boomerang, Lancia Stratos. Sie alle arbeiten sich am Vorbild Countach ab, ohne das Vorbild von vor vierzig Jahren weder einzuholen noch überbieten zu können – die Definition des Klassikers also schlechthin.
Erste Fahrerprobungen mit dem 1971er-Prototypen machten aufgrund thermischer Probleme, aber auch veränderter Zulassungsvorschriften, insbesondere in den USA, umfängliche Veränderungen am Ur-Design notwendig. Die reine klare Linie des ersten Prototyps musste aufgeben werden zugunsten eines immer zerklüfteteren, immer monströseren futuristischeren Kampfgleiter-artigen Erscheinungsbilds, das den schmalen perfekten Grat des ersten Entwurfs zwischen Tradition und Purismus vollkommen “borgifiziert” hat.
Der Faszination der späteren Serienmodelle als feuchten Postertraum an den Wänden der Bräunungsstudien dieser Welt war dieses Brutalo-Design eines Dings wie aus einer anderen Welt nicht gerade abträglich.
Zurück zur Sonderausstellung “Wunschwirklichkeitsmaschinen” in Ingolstadt, die sich mit dem Touring-Einzelstück Flying Star II [7] zu Recht schmückt, aber den wahren Stammhalter der Lamborghini-DNA, den LP500, durch eine ein meinen Augen lächerliche “Replika” glauben Ersetzen zu müssen. Auf den bei Classic Driver ersichtlichen Fotos steht dort in Reihe mit dem Vorgänger Miura ein ebenfalls knallgelber Countach der ersten Serie (ersichtlich an dem Dacheinschnitt zum funktionslosen Periscopo-Minifenster, das beim LP500 darüberhinaus auch durch eine Dacherhöhung gekennzeichnet ist – auf dem Foto oben gut zu erkennen), dem man die seitlichen Lamellen des Prototypen anstelle der Serien-Kühlerkästen angetackert hat.[2]
Da machen es sich die Sonderausstellungsmacher aber einfach. Die Unterschiede zwischen dem 1971er LP500 und dem späterem Serienmodell LP400 (Longitudinale postiore, 4-Liter-V12) sind viel tiefergehender, als dass man sie mit ein wenig Rückbau kaschieren könnte: Der supercleane LP500-Urtyp besaß keine Kühlluftaustritte auf den – ja, was eigentlich? – hinteren Kotflügeln, Seiten- bzw. Dachflächen. Keine seitlichen NACA-Luftansaugstutzen mit integrierten Türöffnern. Die Fenstereinfassung des Prototypen geht in die von den in Wagenfarbe gehaltenen Lamellen maskierten Ansaugöffnung über, die Serie macht hier einen klaren Schnitt. Das Frontend von LP500 baut länger, die rudimentäre aluminiumfarbene Maquette eines Kühlergrills ist viel schmaler und muss keine Zusatzleuchten und Bremsbelüftungsführungen beherbergen. Selbst des LP500-Heck hat kleine, aber konstruktiv bedingt relevante Unterschiede zwischen Prototyp und Serie aufzuweisen. [8]
Allerdings, der hier als “Concorde Moment”(Top Gear’s Jeremy Clarkson) [9] gepriesene Prototyp von 1971 konnte in der Ingolstädter Sonderausstellung gar nicht präsentiert werden. Denn das gute Stück wurde als Entwicklungssträger in den Fahrerprobungen sukzessive mit den Borg-Aufbauten modifiziert und später für einen zulassungsbedingt unvermeidlichen Crashtest zerstört! Trotzdem: Im Werk steht der überlebende zweite, erst orangerote, später grün lackierte 1973er Countach-Prototyp [10], der der heutigen Mutter im Museum Mobile sicherlich gerne einmal zur Verfügung gestellt worden wäre.
Note to Audi bzw. Lamborghini Automobile S.p.A.: Baut eine echte Werksreplica des 1971er-Prototyps als fahrbereiten Ur-Meter des modernen Automobildesigns. Dafür würde ich auch nach Ingolstadt fahren!
[1] “Wunschwirklichkeitsmaschinen — Lamborghini-Designstudien im museum mobile” — Offizielle audi.de-Website mit lustlosem Text und ebensolchem Aufmacherbild
[2] Schöner Beitrag hingegen bei Classic Driver mit einigen guten Fotos von der Ausstellung
[3] YouTube-Video mit dem von einem unzufriedenen Kunden angestifteten öffentlichen Zerstörung seines Gallardo
[4] PHUTURAMA: Le Mans Concept – Lamborghinis wilder Colani-Mutant
[5] WP_it-Diskussionsseite zur Namensdebatte um “Countach” als angeblich obszönen Kraftausdruck im piemontesichen Dialekt
[6] WP: Miura Concept (2006)
[7] WP: Tourings Flying Star II
[8| J-Model Works: Ein Modellbau-Enthusiast hat das LP500-Replica-Projekt im Maßstab 1:24 schon gewagt
[9 YouTube-Video der Top Gear-Challenge, in der Jeremy Clarkson nach meiner Erinnerung den Begriff “Concorde Moment” fallen ließ (Ist aber auch so eine Empfehlung!)
[10] Viel Wissenswertes inklusive Bildmaterial bietet die Website des Countach QV #GLA12997-Eigners Patrick Mimran
August 7th, 2011 at 09:21
Vor Jahren habe ich den amüsanten Artikel eines englischen Motorsport-Journalisten gelesen, der als Teenager anstelle der damals üblichen Farah Fawcett-Majors das Poster eines COUNTACH über seinem Bett hängen hatte. Mit 40 Jahren hatte er endlich die Gelegenheit, sich seinen langhegeten Lebenswunsch zu erfüllen und in so ein Ding zu steigen. Ergebnis: Rückenschmerzen, Ärger über schlechte Kupplung und Verarbeitung sowie eine lange Liste von weiteren Mängeln, die in einem modernen Kleinwagen so nicht mehr akzeptabel wären. Sein Fazit: manche Träume sollte man Träume bleiben lassen … ;-)
“TOP GEAR” (BBC) ist übrigens DER Geheimtip für Leute, die sich einmal politisch vollkommen inkorrekt durch eine Auto-Magazin unterhalten lassen wollen. Wäre in Deutschland – zumindest in einer öffentlich-rechtlichen Anstalt wegen diverser Bedenkenträger – nicht möglich.
August 7th, 2011 at 12:27
@ Skeptiker:
“Kenner italienischer Supersportwagen erkannt man daran, dass sie diese nicht fahren.”
Den Top Gear-Jungs kann man es aber auch nicht recht machen: Im Test des Ur-Enkels des Countach – dem neuen Aventador –LP700-4 ist ihnen der neue zu perfekt. Zu wenig Drama im Alltag, für das der extrovertierte Lamborghini-Lenker ein wenig soziale Anerkennung erwarten durfte.
http://www.autoblog.com/2011/08/03/richard-hammond-stig-test-lamborghini-aventador-for-top-gear/