Überquadratisch. Praktisch. Gut? Ducatis radikale Superbike-Revolution
Unter dem Stichwort “Ducati Superquadrata” nimmt die nächste Superbike-Generation von Ducati – ein im Vergleich zu den “Großen Vier” japanischen Motorradherstellern geradezu winziger Manufakturbetrieb – radikale Formen an.[1] Ducatis Supersportler in den Hubraumvaraianten 850 ccm und 1200 ccm sind das Kernsegment der Marke, die ähnlich wie Porsche im Sportwagen-Automobilbereich in den letzten Jahren inzwischen sehr erfolgreich andere Motorradkonzepte in den Markt gebracht hat – die urbane Supermoto-Interpretation Hypermotard, die sehr sportlich-leichte Allzweck-Reiseenduro Multistrada 1200 und als jüngster Coup der superleichte, supersportliche Powercruiser Diavel.
Wenn auch Spiegel Online glaubt, die Naked-Bike-Reihe Monster sei Ducatis Pendant zum 911, dann ist das Unsinn. [2] In der schnelllebigeren Motorradindustrie mit ihren teils zweijährigen Produktzyklen kann die Rolle des supersportlichen, L-Twin-Pendants zu Porsches Sechszylinder-Boxer-911 nur ein Motorrad sein – die 916/748 (später 996 und 998) und ihre zwei bisherigen Nachfolge-Generationen 999/749 und 1098/848 (später 1198 beim großen Modell). Waren diese drei Modellgenerationen Ausdruck einer technisch eher evolutionären Entwicklung der Verfeinerung, Elektronifizierung und Qualitätssteigerung, so steht jetzt mit der “Superquadrata” eine wirkliche Revolution ins Haus – radikaler vielleicht als bei der Premiere der 916 im Jahre 1994. [3] Die ungeliebte, kurzlebige 999/749 [4] tat nach Außen avantgardistischer, als sie eigentlich war, und ist deshalb auch das Motorrad meiner Wahl – Stichwort: “futuristisches Design zum Befahren von Marskanälen” (MO – Das Motorradmagazin). [5]
Zuerst einmal zum “Überquadratischen”
Motorenbauer bezeichnen damit Brennräume, deren Bohrung wesentlich größer ist als der Hubweg, den die darin befindlichen Kolben zu durchlaufen haben. Weniger Weg, weniger Belastungen für alle mechanisch beanspruchten Teile bei gleichzeitig höheren Drehzahlen und freiere Gaswechsel (= Leistung) am Ende des Drehzahlbands durch die größeren möglichen Ventildurchmesser. Nun sind alle Supersportmotoren sowieso schon überquadratisch ausgelegt, die Betonung auf “Superquadrata” legt nah, dass hier ein besonders rennsport-radikales Konzept in eine straßenzugelassene Maschine eingebracht wird.
Das alleine wäre keine besondere Innovation – und es wäre erst recht keine gute Idee! Schon die jetzige, besonders auf den Rennstreckenbetrieb ausgelegte Ducati 1189 SP ergibt im normalen Verkehr keinen großen Sinn. Nur ein mit einer dynamischen, Drehmoment und Laufkultur verändernden Technik versehener und damit auch im Alltagsverkehr fahrbarer “Superquadrata”-Motor hielte ich für einen echten Fortschritt. Ob dies die Extremisten bei Ducati Corse auch so sehen?
Richtig radikal wird es jedoch erst mit dem “Rahmenbau” des vermutlich im November 2011 auf der EICMA Mailand Premiere feiernden Superbikes. Denn es gibt ihn nicht mehr! Die oben abgebildete Patentzeichnung von Ducati zeigt es: Abgeleitet vom Design ihres 2009-MotoGP-Protoypen Desmosedici, wird der Motor selbst zum Rückgrat des gesamten Fahrzeugs. Vorn ist wahlweise ein Carbon- oder Aluminumbauteil angeflanscht, das zugleich als Airbox und als Aufnahme für den Steuerkopf fungiert, hinten lagert die Schwinge direkt im Motorgehäuse. Das kleine, leichte Rahmenheck aus Carbon für den Fahrerersitz wird da nur noch dran gehaucht. Wenn nicht die Antriebskette wäre, die evolutionäre Verwandschaft zum klassischen Fahrrad, wie es bei den bisherigen Ducatis mit ihren markanten Stahlrohrfachrahmengeflecht so augenfällig ist, wäre kaum mehr wahrnehmbar. Ich fand diesen Anachronismus immer toll!
Erste Erlkönigschüsse von Erprobungsfahrzeugen zeigen jedoch, dass die bisherigen Ducati-Markenzeichenen – die Trellis – beim kommenden Superbike tatsächlich nicht mehr existieren. Wohl unter dem Schock des so rundherum abgelehnten 999/749-Designs scheint aber die Silhouette und die Frontverkleidung den gewohnten Mustern der 916 und 1198 zu folgen. Mit der Ausnahme, dass die Aufsehen erregenden, aber fahrdynamisch ungünstigen doppelten Underseat-Auspufftöpfe nach neuesten Erkenntnissen der Massenkonzentration unten an den Verkleidungskiel verlegt werden.
OK, aber warum die Aufregung? Weshalb “Concorde Moment” im PHUTARAMA-Sinne?
Das “Superquadrata”-Konzept kommt direkt aus der Königsklasse des Motorradrennsports – der MotoGP, einer extrem teuren und aufwendigen Prototypen-Weltmeisterschaft, die als das Zweirad-Pendant zur Formel 1 gilt. Die oben beschriebene radikale Rahmenbauweise, mit dem Triebwerk als tragendem Element, ist auch dort revolutionär und avantgardistisch. Es jetzt zum Straßeneinsatz für eine nicht ganz billige, aber dennoch in Stückzahlen relevante Volumenbaureihe in Serie zu bringen – und nicht als superteure, superlimitierte Rennsport-Replica-Sonderserie wie zuletzt bei der noch klassisch Trelli-berahmten Desmosedici RR [6] – läßt dieses Motorrad im gesamten Vergleichsumfeld wie vom anderen Stern erscheinen.
Sogar ein ähnlich radikales Straßensportwagenkonzept fällt mir dazu im Vergleich nicht ein. Alle radikalen Über-Sportwagen wie Ferrari Enzo Ferrari, Maserati MC-12 oder Porsche Carrera GT, die State-of-the-Art-Rennsporttechnologien auf die Straße brachten, waren limitierte, superteure Sammlerstücke – aber keine Volumenmodelle. Vielleicht träfe es, wenn man sich vorstellte, Lamborghinis letztjährige Studie zum Pariser Automobilsalon Sesto Elemento [7] würde eins zu eins zum Nachfolger des Gallardo auserkoren sein. Was er nicht ist.
Dann sitzt in der MotoGP im Moment auch noch der gefühlt zehnfache italienische Motorrad-Weltmeister Valentino Rossi auf der für die “Superquadrata” konzeptprägenden Moto-GP-Rennmaschine. Die Ableitung zum straßenzugelassenen Superbike bedarf da keiner Marketing-Verrenkungen. Wenn der zwecks Fahrwerksoptimierung leicht aus der Horizontalen zurückgelehnte L-Twin-Motor in “superquadratischen” Hochdrehzahlauslegung von bis zu 14.000 Touren und knappen 200 PS auch noch alltagstaugliche “Schleichfahrt”-Mappings zum Brötchenholen anerzogen bekäme, neben der schon etablierten Ducati Safety Control auch ein sowohl im Alltag wie auf der letzten Rennsportrille funktionierendes ABS bekäme und das Ganze fahrbereit keine 180 Kilogramm wiegen sollte, dann könnte sich Ducati selbst die übliche pornöse Notsitzoption für die Sozia sparen – und hätte trotzdem die Supersportler-Referenzklasse im Sack.
Nur die in diesem Segment sehr erfolgreiche Debütantin BMW S 1000 RR [8] würde dann vermutlich wegen einiger typisch deutschen Ergonomie-Erbenszählereien doch noch einige Zähler Vorsprung im “1000-Punkte-Test” einer führenden deutschen Motorradzeitschrift [1] ins Ziel retten. In der diesjährigen produktionsnahen Superbike-WM, für die die “Ducati Superquadrata” das zum Einsatz ausschlaggebende Homologationsmodell sein wird, zieht das Vorgängermodell 1198 SP mit Carlos Checa als “Privatfahrer” trotzdem an allen Konkurrenten – auch BMW – vorbei. Aber die Revolution wird kommen!
[1] MOTORRAD: “Die Überquadratur des Kreises” vom 22.12.2010
[2] SPIEGEL Online: “Fahrbericht Ducati Monster 1100 EVO“
[3] WP: Ducati 916
[4] WP: Ducati 749
[5] MO-web.de
[6] WP: Ducati Desmosedici RR
[7] FTD.de: “Lamborghini Sesto Elemento – Leichtgewucht”
[8] BMW Offzielle Website zur S 1000 RR
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